Lebensstufen – Gedanken über einen alten Holzschemel

Predigt vom 15. Mai 2022, Pfarrerin Ruth Oppliger

 

Psalm 31

Auf dich, o Gott, vertraue ich,

lass mich nimmermehr zuschanden werden.

Errette mich nach deiner Gerechtigkeit.

Neige dein Ohr zu mir.

Eilends erlöse mich, sei mir ein Fels der Zuflucht.

eine feste Burg, mir zu helfen.

Um deines Namens leite und führe mich.

Du wirst mich befreien aus dem Netz,

das sie mir heimlich gestellt haben.

In deine Hand befehle ich meinen Geist.

Du erlösest mich, du treuer Gott.

Ich will froh sein und mich an deiner Güte freuen,

dass du mein Elend angesehen

und der Not meiner Seele gedacht hast.

Du hast mich nicht der Hand meines Feindes ausgeliefert.

Du stellst meine Füsse auf weiten Raum.

Sei mir gnädig Gott, denn mir ist so bange.

Im Kummer schwindet dahin mein Leben,

meine Jahre vergehen mit Seufzen.

Ich aber vertraue auf dich, ich spreche: Du bist mein Gott.

Seid stark, euer Herz sei unverzagt.“

 

Die Verheissung: Geborgenheit und Weite

«Du stellst meine Füsse auf weiten Raum.»

Das isch ä wunderbare Värs, düecht mi. Äs si Wort, wo üs lö lo ufschnuufe. Si tröschte scho im Momänt, wo mir se is Muu nä oder wo mir se ghöre. Mir gschpüres körperlech: di Wort schaffe i üsem Innere ä Wiiti. Statt Angscht u Beklemmig chöi mr Zueversicht u Freiheit wahrnä. Dr Ps 31, wo dä Värs drus stammt, isch säuber wine wite Ruum.

Drin chöme ou di bekannte Wort vor, wo Jesus nachem Lukasevangelium am Chrüz bätet het: «In deine Hände befehle ich meinen Geist.»

D Bäterin oder dr Bäter, wo di Wort verfasst het, verzeut vo verschiedene Stadie im Läbe, vo Froge u Zwifu isch d Red. Aber ou vo Zueversicht. Ire Situation, wo nach mönschlecher Ischätzig aus am Änd wär, do zeigt Gott Uswäge uf u ermügelchet ä neue Blickwinku, ä angeri Perspektive, wo Hoffnig u Muet git.

«Du schteusch mini Füess uf wiite Ruum», das isch äs Psalmwort, wo Freiheit u Geborgeheit gliichzitig schänkt. Mit «Du» wird Gott agredt. Gott erschiint aus vertrouts Gägenüber, aus sichere Wärt, wo üs Mönsche dr wit Ruum vom Läbe ermüglechet.

Ihres Wort befreit üs us dr Ängi vom Alltag, berfreit üs vo Zwäng u immer gliiche Verhaltensmuster u Forderige. Us dr Sicherheit, wo üs Gott git, chöi mr üs usem iängende Netz befreie, wo nid nume di angere üs drin gfange haute, sondern hüfig ou mir säuber. Dä Värs us Psalm 31 zeigt verschiedeni Perspektive u tuet üs Rüüm uf id Vergangeheit, Gägewart u Zuekunft. Ds göttleche Wort umspannt nid nume ungerschiedlechi Zytäbenine, sondern ou verschiedeni mönschlechi Erfahrige.

 

Ein alter Holzschemel – Ein Symbol

Luege mr uf das Holzschämeli…

Was het jetz ä aute, chliine Schämu z tüe mit dene Wort, dass Gott üsi Füess uf wiite Ruum schteut? Di Flächi vo däm Holztritt isch nid grad gross, 30 uf 20 cm, u d Höchi betreit nume 17 cm. Dir froget euch äuä, worum i dä Vergliich zieh: Wiite Ruum – Holzschämeli. Natürlech isch das Schämeli äs Symbol. Für mi drückts Geborgeheit u Wiiti glichzitig us. Äs seit für mi ou öppis us über d Läbesstuefe: Vergangeheit, Gägewart u Zuekunft. U das het mit mine persönleche Erläbnis z tüe. Generatione i üser Familie hei das Schämeli scho bruucht. Äs schteit für mi für ne sichere Ort ir Familie u äbeso für di eigeständegi, persönlechi Entwicklig, wo us der Sicherheit use müglech wird. Ds erscht Mou hani das Schämeli aus Ching gseh, bi mine Grosseutere müeterlechersits. Mi Grossmueter isch aube im Lehnschtuehu gsi u het ihri Füess druf gschteut. Gliichzitig hei mir Ching ds hölzige Teili aus chliises Schtüehli brucht, für üs dranne z ha, oder für druf z hocke. Nachem Tod vor Grossmueter isch das Schämeli zu mir Mueter u dermit i üsi Familie cho. Mi Mueter hets de wines Leiterli mit eim Tritt brucht, auso für z.B. öppis obe usemem Schaft z nä. Schlussändlech isch jetz, nachdäm mir ds Stöckli vo mine Eutere hei gruumt, das Holzschtüehli bi mir glandet. Primär fingenis äs schöns Stück Erinnerig. I has bi üs id Garderobe gschteut u ha mi jedes Mou gfreut, weni bi zur Tür icho. Uf einisch isches nümm dert gsi u i has de ungerem Schribtisch vo mim Sohn gfunge. Dert brucht ärs wieder aus Fuessschämeli. U d Ching vor nächschte Generation wärde sicher ou wieder autersgemässi Isatzmüglechkeite finge.

I dürläbe Autersstuefe, igschlosse ire Foug vo Generatione, wo mir Haut u Zuekunft gä, wi di göttlechi Verheissig, wo mi dür ds Läbe begleitet. Sinnbildlech derfür isch ds Schämeli: Aus Ching chani mi dran ha bim Lehre loufe, oder i cha dermit spiele. Im Erwachseneauter chanis aus Hilfsmittu bruche, wo mir d Arbeit erliechteret. Scho nume, wenn ig ei Tritt höcher bi, hani ä bessere Überblick u cha öppis erledige oder gseh, wo süsch nid müglech wär. Im Auter brucheni zuehnähmend Rueh, de chani mi im Sässu zrügglehne u mini Füess bequem ufem Schämeli lo löie.

 

Lebensstufen und vom Aufhören

Gott schteut üsi Füess ufne wiite Ruum.

Ds Läbe verlouft i Stuefe. Jedi het ihri eigete Useforderige. Ds Läbe nimmt si Louf, vieles chöi mir nid bestimme, aber mir chöi entscheide, weli Hautig, weli Perspektive mir inä. Mir si ungerwägs, gäng neui Windige nimmt dr Läbeslouf. Derbi dörfe mir nid nume zrugg luege. Üse Blick sou offe bliibe für d Zuekunft u üse Wäg darf üs im Uf u Ab dür unbekannti Landschafte füehre. Vo Jung bis Aut si mir uf Reise u üsi Füess träge üs vo eim Ort zum angere. Si füehre üs dür d Zyte. Ou we d Füess zuenähmend müeder wärde, oder üs gar nümm wei träge, de müesse mir wäg däm nid bliibe schto aus Mönsche. Dr Geischt u d Seel chöi o denn offe bliibe.

Mir isch ganz wichtig: Äs isch für mi nid dr Sinn vom Läbe, gäng meh müesse z leischte u gäng schneuer müesse z si. I finde, nid i jedem Fau isches wünschenswärt, gäng z optimiere u z rationalisiere. Äs isch ou einisch guet u gnue. I gseh ä töife Sinn im Verlangsame, u das nid nume gäge ds Änd vom Läbe. Äs isch i jeder Läbeszyt wärtvou, sech z bsinne, d Rueh z finge. Nüt mache, loslo, eifach si. Zuenähmend luege igs aus Ziu a, Verschiednigs nümm z müesse. I jedem Auter dörfe mir ou zwüschine ufhöre. Das bringt üs tatsächlech ou witer. Das erfreut üses Härz u macht üs starch. Dr Philosoph Harald Welzer beschäftiget sech mit däm Thema: Aufhören. I wott mi jetz ou vermehrt dermit usenangersetze.

Ufhöre, nei säge, absäge, adie säge. I säuber bi am Üebe, Schritt für Schritt, Stuefe um Stuefe, vo Ufgab zu Ufgab, vo Ruum zu Ruum.

Vom Ufhöre, vo Läbesstuefe u vom wite Ruum ir Geborgeheit vo Gott, isch ou d Red ime berüehmte Gedicht:

 

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend

Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,

Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend

Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.

Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe

Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,

Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern

In andre, neue Bindungen zu geben.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,

Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,

An keinem wie an einer Heimat hängen,

Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,

Er will uns Stuf um Stufe heben, weiten…

Hermann Hesse

 

Säge mr dr Schöpfigschraft, wo üses Läbe drus chunnt «Wältgeist», wi dr Dichter, oder na religiöser Tradition «Gott», für mi isch sicher u i vertroue druf:

Si schteut üsi Füess uf wiite Ruum u bliibt derbi jederzyt a üser Site.