Von Bäumen und Menschen

Gedanken zur Schöpfungszeit
Sonntag, 1. September 2024

Pfr. Roman Häfliger

 

Glücklich der Mensch, der Gottes Weisung folgt.
Er gleicht einem Baum, der am Wasser gepflanzt ist, und trägt Früchte zu seiner Zeit.
Psalm 1

 

Die Jotamfabel

Richter 9,8-15

Einst zogen die Bäume los. Sie wollten einen König über sich salben. Also sagten sie zum Olivenbaum: »Sei du unser Herrscher!« Doch der Olivenbaum antwortete ihnen: »Soll ich denn keine Oliven mehr hervor­bringen? Mit ihrem Öl werden Götter und Menschen geehrt. Nein, ich will nicht über den Bäumen schweben!«

Da sagten die Bäume zum Feigenbaum: »Auf, sei du unser Herrscher!« Doch der Feigenbaum antwortete ihnen: »Soll ich denn keine Feigen mehr hervorbringen? Die Früchte sind süß und schmecken köstlich. Nein, ich will nicht über den Bäumen schweben!«

Da sagten die Bäume zum Weinstock: »Auf, sei du unser Herrscher!« Doch der Weinstock antwortete ihnen: »Soll ich denn keine Trauben mehr hervorbringen? Mit ihrem Saft werden Götter und Menschen erfreut. Nein, ich will nicht über den Bäumen schweben!«

Schließlich sagten alle Bäume zum Dornbusch: »Auf, sei du unser Herrscher!« Da antwortete der Dornbusch den Bäumen: »Ist das euer Ernst? Wollt ihr mich wirklich zum König über euch salben? Dann kommt und sucht Schutz in meinem Schatten! Sonst soll Feuer von meinen Dornen ausgehen und die Zedern vom Libanon fressen!«

 

Drei Lesarten

Jotam erzählt diese Fabel als Reaktion auf eine tragische Geschichte, die sein Verwandter Abimelech in Sichem anzettelt. Die Geschichte und ihre Folgen lesen Sie in Richter 9. Es ist natürlich erlaubt, heutige «Abimelechs» zu benennen und sich zu fragen, warum Dornbusch-Menschen gerne nach der Macht greifen.

In der Schöpfungszeit ist aber auch die Frage erlaubt: Verhält sich nicht ganz allgemein der homo sapiens in seinem Verhältnis zu allen anderen Arten der vielfältigen heiligen Schöpfung wie der Dornbusch in dieser Geschichte?

Drittens können wir den Fokus auch auf die zuvor genannten Baumarten legen. Ganz wie Olivenbaum, Feigenstrauch und Rebstock besinnen wir uns auf das, was uns ausmacht und folgen unserer Aufgabe, ohne die anderen um ihr Anderssein zu beneiden. Mit den Worten, die Hermann Hesse einem Baum in den Mund legt: «Ich vertraue, dass Gott in mir ist. Ich vertraue, dass meine Aufgabe heilig ist. Aus diesem Vertrauen lebe ich.» (Hermann Hesse, Bäume, Frankfurt a.M. 1984)

Ich wünsche Ihnen eine schöne, grosszügige und reichhaltige Schöpfungszeit.

 

Die ganze Predigt (in Mundart notiert) können Sie gerne bei mir bestellen.