Eingeladen

Predigt zum zweiten Sonntag nach Trinitatis, 9. Juni 2024

Pfr. Roman Häfliger

Mögen Sie Einladungen? Laden Sie gerne ein?  
Ich sage es ganz offen: Ich mag Einladungen, passiv und aktiv. Es ist nicht dasselbe, ob eine Veranstaltung einfach stattfindet, oder ob ich dazu eingeladen werde. Bei gewissen Anlässen reicht ein «Chunnsch ou?», andere Veranstaltungen erfordern frühzeitige Absprache zwischen Gastgeberin und Gästen – ein Extremfall ist der anstehende Friedensgipfel auf dem Bürgenstock.

Aber auch schon ein grosses Festessen, wie in der Geschichte bei Lukas beschrieben, erfordert aufwändige Vorbereitungen. Also will der Gastgeber frühzeitig wissen, welche Gäste seiner Einladung folgen und welche nicht. Aufgrund dieser Rückmeldungen bereitet er sich vor, und als das Fest vor der Tür steht, schickt er seinen Gästen einen friendly reminder, eine freundliche Erinnerung, damals noch nicht via Kurznachrichtendienst, sondern durch seinen Diener. Er «liess den Gästen sagen: ›Kommt, jetzt ist alles bereit!‹» Im griechischen Original heissen die «Gäste» die Gerufenen, die Eingeladenen. Die Partizipform macht deutlich: Das sind nicht spontane Gäste, sondern diejenigen, die bereits vorgängig eingeladen worden sind.

Seit ich dieses Detail entdeckt habe, habe ich viel mehr Verständnis für die barschen Schlussworte des Gastgebers. Weder ein Acker- oder Ochsenkauf noch eine Hochzeit werden unvorhergesehen zwischen Zu- und Absage aufgetaucht sein. Kurzfristige Absagen hinterlassen auch mit noch so guten Entschuldigungen eine Missstimmung beim Gastgeber.

Gemäss dem Lukasevangelium erzählt Jesus diese Geschichte, als er selbst als Gast bei einem Pharisäer zu Tisch sitzt. Er reagiert damit auf die Aussage eines anderen Gastes: «Glückselig ist, wer im Reich Gottes am Mahl teilnehmen darf!» Also will die Geschichte dazu ermutigen, die Einladung in Gottes Reich anzunehmen. Die primäre Hörerinnen- und Leserschaft des Lukasevangeliums wird sich gefreut haben zu erfahren, dass vor allem die Armen, Blinden und Gelähmten diese Einladung gefolgt sind.

Um aus dieser Geschichte zu lernen und den einladenden Gastgeber nicht zu brüskieren, frage ich: Wie komme denn ich zu einer solchen Einladung? Und wie reagiere ich, wenn ich die Einladung erhalte?

Darum geht es im heutigen Predigttext aus dem Epherbrief. Diesen Brief an die Gemeinde in Ephesos hat wohl der Apostel Paulus aus dem Gefängnis geschrieben, er fasst darin wichtige Anliegen seiner Theologie zusammen und unterstreicht im Brief die Einheit der Kirche. Das Christentum ist aus dem Judentum hervorgegangen. In den frühen Gemeinden musste sich die Überzeugung erst entwickeln, dass auch Menschen, die die jüdische Religion nicht kannten und also nicht zum Gottesvolk Israel gehörten, dennoch Teil der Kirche werden konnten. Dafür setzte sich Paulus an all seinen Wirkungsstätten ein, gerade auch in Ephesos, wo er während zwei Jahren «Juden wie Griechen das Wort des Herrn» gepredigt hatte (Apg 19,10).

An diese Gemeinde schreibt er später:

[Christus] kam und verkündete Frieden: Frieden für euch in der Ferne und Frieden für die in der Nähe. Denn durch ihn haben wir beide (d.h. Juden und Heiden, vgl. 2,11) in ein und dem­selben Geist Zugang zum Vater. Ihr seid also nicht mehr Fremde und ohne Rechte in Israel. Ihr seid vielmehr Mitbürger der Heiligen und Mitglieder von Gottes Hausgemeinschaft. Ihr seid gegründet auf dem Fundament der Apostel und Propheten, dessen Grundstein Christus Jesus ist. Durch ihn wird der ganze Bau zusammengehalten. So wächst er zu einem heiligen Tempel empor, der dem Herrn gehört. Weil ihr zum Herrn gehört, werdet auch ihr als Bausteine in diesen Tempel eingefügt. Gott wohnt darin durch den Heiligen Geist.

 

Hat der Gast, der mit Jesus beim Gastmahl sass, ausgerufen: «Glückselig ist, wer im Reich Gottes am Mahl teilnehmen darf!», sagt hier Paulus: «Ihr seid Mitglieder von Gottes Hausgemeinschaft.»

Wenn das keine Einladung ist! Und zwar eine bei weitem nicht so exklusive, wie die Geschichte im Lukasevangelium nahelegt. Entsprechend der paulinischen Offenheit – oder Mission, anders gesagt – werden hier in der zweiten Person Plural alle eingeladen.

Eingeladen seid ihr aber nicht als Gäste zu einem Mahl, sondern – als Bausteine zu einem Tempel! Auf den ersten Blick verwirrt das Bild. Es spielt einerseits auf den Tempel in Jerusalem an, in dem nur der Hohe Priester Zugang zum Ort von Gottes Gegenwart hatte (Lev 16). Ganz anders soll die Kirche zum verheissenen endzeitlichen Tempel werden, in dem Gott durch seinen Geist wohnt.

Wer in Ephesos vor knapp 2000 Jahren das Wort «Tempel» hörte, hatte wahrscheinlich jedoch ein anderes, nicht minder imposantes Bild vor sich. Mit den Worten des Antipatros von Sidon:
«Doch als ich dann endlich
Artemis’ Tempel erblickt, der in die Wolken sich hebt,
blasste das andere dahin. Ich sagte: Hat Helios’ Auge
ausser dem hohen Olymp je etwas gleiches gesehen?» (Anthologia Palatina 9, 151.)

Der Artemis-Tempel aus Ephesos, in der heutigen Türkei gelegen, gehörte zu den sieben Weltwundern, ja wurde wegen seiner Dimensionen sogar unter diesen besonders hervorgehoben. 127 Säulen, jeweils 18m hoch und viele davon mit Reliefen verziert, trugen ein Steindach. Wer in Ephesos lebte, hatte eine konkrete Vorstellung davon, wie ein heiliger Tempel emporwächst und welche Bedeutung dem Grundstein zukommt. Wer in Ephesos wohnte, konnte sich vor Ort anschauen, als welcher Baustein er selbst in den Tempel eingefügt werden möchte: tragend oder stützend, riesig oder klein, mit einem Relief verziert oder versteckt – alle hatten sie ihre Funktion in diesem Weltwunder.

Genau so sollt ihr, Gläubige in Ephesos, wie Paulus geschrieben hat, Teil des Tempels werden, in dem Gottes Geist wohnt. Bausteine eines lebendigen Tempels. Und genau so sollen wir, heutige Gläubige, Teil des Tempels werden, in dem Gottes Geist wohnt. Bausteine eines lebendigen Tempels. Wir sind eingeladen, an Gottes Hausgemeinschaft mitzuwirken.

Möglichkeiten gibt es viele:
Nach dem Gottesdienst werden zwei Menschen verabschiedet, die in den vergangenen Jahren mit ihrem Können, ihrer Zeit und ihrem Engagement als Kirchgemeinderäte unsere Gemeinde mitgestaltet haben.
Beim Kirchenkaffee dürfen Sie gerne jemanden ansprechen, den Sie noch nicht kennen. Vor einigen Tagen haben wir beim Zischtig Zmittag Tischgemeinschaft gelebt.

Und Sie? Als welche Art Baustein werden Sie in den Tempel eingefügt? «Ihr seid Mitglieder von Gottes Hausgemeinschaft» ist eine Einladung, die Sie auf viele Arten annehmen können. Auch wenn Sie grosse Gemeinschaften gar nicht so mögen.