Heiliger Geist für alle

Gottesdienst zu Pfingsten 2024 in der Stadtkirche Burgdorf
Pfr. Roman Häfliger

Heute feiern wir Pfingsten!
Was aber feiern wir eigentlich? Das Umfrage-Video unserer KUW zeigt, dass diese Frage nicht so einfach zu beantworten ist.

Feiern wir die christliche Weiterführung eines jüdischen Festes?
Die Erinnerung an einen eindrücklichen Marketing-Event vor fast 2000 Jahren?
Die Erfüllung einer noch älteren Prophezeiung?
Oder den «Geburtstag der Kirche», wie dieses Fest auch genannt wird?

Vielleicht ein bisschen von allem.

Jüdische Wurzeln des Pfingst-Fests

Pfingsten bildet im Kirchenjahr den Abschluss des Osterfestkreises. Diese Zeitspanne wurde aus der jüdischen Tradition übernommen, das Fest war dort zunächst das Fest der Darbringung der Erstlingsfrüchte (Exodus 23,16), wurde später als «Wochenfest» bezeichnet (Exodus 34,22) und – wohl erst in nachalttestamentlicher Zeit – 50 Tage nach dem Passah-Fest angeordnet.

Daher kommt auch der Name: griechisch «Pente­koste», der «50. Tag», der genau genommen morgen sein wird.

Dieser 50. Tag nach den Ereignissen ums Passa­fest, an die wir uns an Ostern erinnert haben, war für die Jüngerinnen und Jünger einmal mehr eine Herausforderung. Schon wieder würde die ganze Stadt in Feststimmung sein. Schon wieder muss­ten sie ein Fest im Abschiedsschmerz erwarten.

Auch wenn es nicht mehr dasselbe war wie sieben Wochen zuvor. Damals war die Trauer um den hingerichteten Anführer und über die zusammengebrochene Hoffnung noch frisch. Erst am Morgen nach dem Passafest begegneten sie dem Auferstandenen, erst nach dem Fest began­nen sie, nach und nach wieder Lebensmut zu schöpfen. Auch, weil Jesus ihnen «auf viel­fache Weise bewiesen hat, dass er lebt: Während vier­zig Tagen hat er sich ihnen immer wieder gezeigt und vom Reich Gottes gespro­chen» (Apg 1,3), wie in der Apostel­geschichte überliefert wird.

Nun waren die vierzig Tage vorbei. Jesus Christus «wurde er vor ihren Augen emporgehoben. Eine Wolke nahm ihn auf, und er verschwand.» (Apg 1,9). Daran haben wir uns an Auffahrt erinnert. Bevor er verschwand, schärfte Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern ein, Jerusalem nicht zu verlassen, bis «in Erfüllung geht, was der Vater versprochen hat.» (4) Nämlich: «Ihr werdet in wenigen Tagen mit dem Heiligen Geist getauft werden» (5)

Wann aber die Jüngerinnen und Jünger diese Gabe empfangen würden, wussten sie nicht, ihnen «gebührt es nicht, Zeiten und Fristen zu erfahren» (7), also mussten sie einfach warten. Nun warteten sie seit einer guten Woche, und das Wochenfest stand bevor. Wirklich Lust auf Feiern hatte wohl niemand aus dem Kreis der treuen Jesus-Anhänger. So sassen sie also zusammen, wie sie schon oft zusammen gesessen hatten, und versuchten, gemeinsam Mut zu sammeln, um nach draussen zur Festgemeinschaft zu stossen.

Ein Marketing-Event?

Und dann kam der heilige Geist. Lesen Sie den Bericht aus Apostelgeschichte 2.

Vor kurzem noch verunsichert, verängstigt, suchend, wurden die versammelten Jüngerinnen und Jünger just an dem Tag, an dem alle Welt in Jerusalem versammelt war, vom Geist erfasst. Ein himmlisches Brausen, Feuerzungen und die Gabe, in allen möglichen Sprachen zu reden oder zumindest gehört zu werden – ein gelungener Werbe-Anlass zum richtigen Zeitpunkt!

Die Sprachverwirrung, die beim Turmbau zu Babel erfolgt war (Genesis 11,1-9), wurde nun durch die eine Sprache des Geistes überwunden, Verständigung wurde auf neue Weise möglich. Natürlich gab es auch kritische Stimmen. Aber die Werbung funktionierte. Petrus nutzte die Gelegen­heit. Vor den vielen Menschen, die durch das himmlische Brausen angezogen wurden, hielt er eine begeisternde Rede. Die Pfingst-Erzählung endet mit einer ein­drück­lichen Bilanz: «Und an jenem Tag wurden ungefähr 3000 Menschen der Gemeinde zugeführt.» (Apg 2,41) 

Die neue Zeit ist angebrochen

Mehr aber als für einen Werbe-Anlass steht Pfingsten für den Anbruch einer neuen Zeit.
Ich zitiere aus Petri Pfingstrede (Apg 2,14-18): «Da trat Petrus vor die Menge, zusammen mit den anderen elf Aposteln. Mit lauter Stimme wandte er sich an die Leute: »Ihr Leute von Judäa, Bewohner von Jerusalem! Lasst euch erklären, was hier vorgeht, und hört mir gut zu! Diese Leute hier sind nicht betrunken, wie ihr meint. Es ist ja erst die dritte Stunde des Tages. Nein, was hier geschieht, hat der Prophet Joel vorhergesagt: ›Gott spricht: Das wird in den letzten Tagen geschehen: Ich werde meinen Geist über alle Menschen ausgießen. Eure Söhne und Töchter werden als Propheten reden. Eure jungen Männer werden Visionen schauen, und eure Alten von Gott gesandte Träume haben. Über alle, die mir dienen, Männer und Frauen, werde ich in diesen Tagen meinen Geist ausgießen. Und sie werden als Propheten reden.»

Es gelingt Petrus, die alten Prophezeiungen mit den jüngsten Ereignissen zu verbinden. Es gelingt ihm, die Anwesenden zum Mitmachen in dieser neuen Zeit zu gewinnen. «Ändert euer Leben! Lasst euch alle taufen im Namen von Jesus Christus. Dann wird Gott euch eure Schuld ver­geben und euch den Heiligen Geist schenken.» (2,38).

Dieser heilige Geist wird nicht mehr nur auf Zeit geschenkt. Er wird auch nicht mehr nur aus­erwähl­ten Menschen geschenkt, wie das früher einmal geschehen war (Numeri 11,11-25). Der heilige Geist wird nun allen geschenkt, die sich taufen lassen. Auch heute noch bekommt der Einzelne in der Taufe Anteil am Pfingstgeist.

Geburtstag der Kirche – und Emanzipation der Gläubigen

Der Pfingstgeist ermutigt die Gläubigen. Und unterstützt sie bei der Emanzipation. Bis vor kurzem trotteten die Jüngerinnen und Jünger ihrem Rabbi Jesus hinterher, begeistert und fasziniert.

Dann katapultierte sie der Tod Jesu in die Realität. Auf einmal schienen all die Begeis­terung, die Hoffnung, der Mut, die Jesus ent­flammt hatte, vernichtet. Am Kreuz mit Jesus mitgestorben waren die Träume seiner Anhänger­­schaft. Dann erfuhren die Jüngerinnen und Jünger mit Ostern auf wundersame Weise Christi neue Gegenwart, die Kraft des Auferstandenen. Vierzig Tage lang, bis Jesus Christus endgültig «zum Vater ging». Verloren sie ihn ein zweites Mal?

Nochmals zehn Tage später begriffen sie, dass es nicht ausreicht, sich von Jesus mitreissen zu lassen. Sie sind es, die die Sache Jesu weiter­tragen. Auf sie kommt es nun an, seine Botschaft weiterzuerzählen. Die Jüngerinnen und Jünger spüren dies als grosse neue Herausforderung und Aufgabe einerseits.

Und sie spüren andererseits nun auch eine ungeahnte Kraft in sich, die sie dazu befähigt und ermutigt. Sie spüren, dass der Geist in ihnen wirkt. Sie sind sicher, dass sie Grenzen und Hinder­nisse überwinden können.

Die Pfingst­geschichte handelt von Verantwor­tung: Selber hinstehen. Selber geradestehen. Aber auch: Sich selber etwas zutrauen!

In diesem Sinn ist Pfingsten vielleicht wirklich der Geburtstag der Kirche. In der Folge schaffen es die Gläubigen, erste Gemeinden zu bilden, sich zu organisieren, gemeinsam zu feiern und zu essen, ja, sogar Gütergemeinschaft zu leben.

Von diesem Geist kann ich mich auch heute noch anstecken lassen. Pfingsten fordert mich auf, selber zu denken, in der Welt für meinen Glauben einzustehen, und mich im Alltag von Gottes Geist leiten zu lassen. Pfingsten ermutigt mich, mich selbst für Gottes Reich einzusetzen.

Ich kann mich nicht wie an Weihnachten mit Hirtenfolklore oder Engelsgesang ablenken, nicht wie an Karfreitag mein Mitgefühl dem leidenden Jesus schenken, nicht Gott lobend in Osterjubel einstimmen.

Pfingsten ist das Fest, an dem ich als gläubiges Mitglied der Kirche angesprochen bin, an dem jeder und jedem von uns ein Feuerzünglein geschenkt wird.

Zum Glück erwarten mich nun zwei freie Feiertage, um über diese Herausforderung nachzudenken.