Gewalt an Frauen und Mädchen im Migrationskontext

Ist häusliche Gewalt ein Ausländerproblem?

 

von Anette Vogt

«Hast du nicht Angst, alleine mit geflüchteten, jungen Männern in einem Raum zu sein während deiner Arbeit?» Solche Fragen werden mir manchmal gestellt, wenn ich von meinem Arbeitsalltag als Migrationsfachfrau bei der reformierten Kirche erzähle.

Nein, ich habe noch nie eine Situation erlebt, in der es mir nicht mehr wohl war. Aus meinem Arbeitsalltag kann ich in dieser Hinsicht nur Positives berichten.

Dass Gewalt im Migrationskontext verbreiteter ist als unter Schweizer*innen, das weiss ich aus unterschiedlichsten Studien und Statistiken. In meiner Ausbildung zur Migrationsfachfrau habe ich mich intensiv mit dieser Thematik auseinandergesetzt. Einige Erkenntnisse daraus möchte ich Ihnen nicht vorenthalten.

Häusliche Gewalt grundsätzlich

Die häusliche Gewalt betrifft alle gesellschaftlichen Schichten und Nationalitäten. Der Frauenanteil unter den gewaltbetroffenen Personen ist 71.9%. Frauen werden viermal häufiger Opfer von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten. Der Anteil der getöteten Frauen ist sieben Mal höher als derjenige der Männer.

Die Zahlen sprechen Klartext: Frauen sind viel gefährdeter als Männer. Es ist nötig, dass man genau hinschaut, die Bevölkerung sensibilisiert und Präventionen fördert.

Häusliche Gewalt im Migrationskontext

Es werden im Verhältnis mehr Fälle von häuslicher Gewalt bei Ausländer*innen gezählt. Knapp die Hälfte aller Opfer von häuslicher Gewalt hat keinen Schweizerpass. Ausländer*innen sind sogar viermal häufiger durch häusliche Gewalt in der aktuellen Beziehung betroffen als Schweizer*innen. Kinder und Jugendliche von Ausländer*innen werden doppelt so oft Opfer von häuslicher Gewalt. Ist also häusliche Gewalt vor allem ein Problem der ausländischen Bevölkerung?

Nein, das wäre zu einfach. Es hat viel mehr mit sozialen Problemen zu tun und mit den gesellschaftlichen Strukturen.

Man kennt verschiedene Risikofaktoren, die häusliche Gewalt fördern, unabhängig von der Herkunft der Betroffenen: jung und (schon) verheirate, sozial isoliert, mit finanziellen Schwierigkeiten konfrontiert, prekäre Arbeitsbedingungen, Arbeitslosigkeit, enge Wohnverhältnisse, Gewalterlebnisse in der Kindheit, Hilfsangebote unbekannt oder schwer zugänglich, mangels sozialem Netz kein Unterschlupf vorhanden, um bei Gewalt vorübergehend auszuziehen.

Leider ist es in unserer Gesellschaft so, dass diese Risikofaktoren überproportional häufig bei der ausländischen Bevölkerung anzutreffen sind. Man muss bedenken, dass die ausländische Wohnbevölkerung eine höchst heterogene Gruppe von Menschen ist.

Geben wir uns also Mühe, dass diese Menschen nicht sozial isoliert bleiben. Warum nicht mal auf die Migrantenfamilie in der Nachbarschaft zugehen? Warum nicht interessiert nachfragen, wenn uns etwas Unbekanntes begegnet?

Glauben Sie mir, das ist für beide Seiten sehr bereichernd. Immer wieder bin ich in meinem Arbeitsalltag dankbar, unterschiedlichste Menschen zu treffen, vielfältige Lebensgeschichten zu hören und andere Weltanschauungen kennen zu lernen.

Auch von den Freiwilligen des Angebotes PaMi höre ich oft, wie wertvoll und spannend der Austausch mit Migrant*innen sei.

Lasst uns von der Vielfalt profitieren und die Risikofaktoren für häusliche Gewalt zusammen minimieren!

 

Hier finden Betroffene Hilfe:

Opferhilfe Schweiz

Opferhilfe Bern

Frauenhaus Bern

Opferhilfe bei sexualisierter Gewalt