Gehüllt in den Mantel der Gerechtigkeit

Predigt zum Sonntag 25. April 2021, Stadtkirche Burgdorf

Jesaja 61,10-11

Pfarrer Roman Häfliger

«Denn GOTT hat mich gesalbt, um den Elenden frohe Botschaft zu bringen, er hat mich gesandt, um die zu heilen, die gebrochenen Herzens sind…» Der Prophet, der im dritten Jesaja-Buch das Wort ergreift, spart nicht mit Gott- und Selbstvertrauen. Er hat einen grossen Auftrag. Einen schönen Auftrag – etwas Neues ist angebrochen: Kopfschmuck statt Asche, Freudenöl statt Trauer, Aufbau statt Ruine. Sein Loblied schliesst er ab mit dem heutigen Predigttext:

Wie werde ich mich freuen am Herrn!
Meine Seele jauchze über meinen Gott,
denn mit Gewändern des Heils hat er mich bekleidet,
in den Mantel der Gerechtigkeit hüllt er mich,
wie der Bräutigam
nach Priesterart den Kopfschmuck trägt
und wie die Braut sich schmückt
mit ihrem Geschmeide.

Jesaja 61,10

Welch schöne Vorstellung! Gott kleidet mich ins Heil, ich trage es auf meinem Körper, spüre, wie es mich wärmt an kalten Tagen und vor der Sonne schützt im Sommer. Das Heil umgibt mich wie ein Gewand von Kopf bis Fuss. Und die Gerechtigkeit wird mir aufgesetzt wie der Kopfschmuck dem Bräutigam oder das Geschmeide der Braucht. Zum wärmenden Heil kommt Gerechtigkeit als Verzierung. Denn, so schliesst das Loblied:

Denn wie die Erde hervorbringt, was spriesst,
und wie der Garten seine Saaten spriessen lässt,
so wird Gott der Herr
Gerechtigkeit spriessen lassen
und Ruhm vor allen Nationen.

Jesaja 61,11

Die Gerechtigkeit, eben noch als Schmuck beschrieben, wir nun mit einem anderen Bild gezeichnet. Gott lässt sie spriessen wie der Garten seine Saat. Gerechtigkeit fällt nicht unerwartet vom Himmel. Wer Gemüse anbaut oder auf dem Balkon Blumen sät, weiss, was es braucht, damit aus einem Samen eine Pflanze wächst.

Dieser Abschluss bringt das freudige Lied der neuen Zeit wieder zurück auf den Boden. Zum Glück: Die Alltagsstimmung stimmt trotz kürzlich erfolgter Lockerungen nicht mit der Idee des Sonntags «Jubilate» überein. Die meisten sind nicht in Jauchz- und Jubelstimmung.

Nur: Auch damals, als diese Worte gepredigt und aufgeschrieben wurden, war nicht etwa das Paradies auf Erden angebrochen. Die Worte stammen aus der nachexilischen Zeit um 500 vor Christus. Einflussreiche Teile der israelitischen Bevölkerung waren in ihre Heimat zurückgekehrt und hatten sich am Wiederaufbau beteiligt. Viele Wunden waren noch offen, Erinnerungen noch schmerzhaft, die Welt ringsum nicht friedlicher als heute.

Gerade deshalb stimmt der Prophet das Loblied an. Er will Mut machen, motivieren, zeigen, dass das Neue schon angefangen hat. Wenn auch nur unscheinbar wie die Saat im April. Damit will er zum Mitmachen auffordern. Er weiss, wie eng Heil und Gerechtigkeit zusammenhängen, Heil wärmt nur, wenn es von Gerechtigkeit geschmückt wird.

2500 Jahre später dichtet Kurt Marti eine Ostervision:

es freut sich der himmel
es freut sich die erde
es küssen sich
frau und gefährte
die bäume auch freu’n sich
die hasen die hühner der hund
es hüpfen die kinder
die eier sind bunt
es frohlocken apostel propheten
und selbst
über beton und städten
silbert und glänzt
ein luft-diadem
als schwebte hernieder
das neue jerusalem
um weich hier zu landen:
christ ist erstanden!

gott gerneklein, Stuttgart 2006, 36.

Auch er träumt gerne vom Neuen, das mit Ostern angebrochen ist. Aber auch er bleibt nicht beim realitätsfernen Jubel, sondern verknüpft Heil und Gerechtigkeit, verbindet Gottes Güte mit menschlicher Reaktion:

Wir preisen Dich, Göttin Gott,
die Du nie eine Waffe gebrauchst,
die Du Tote ins Leben erweckst,
Feinde als Geschwister entlarvst.

Wir bitten Dich, Göttin Gott,
steck uns mit Deiner Liebeskraft an,
weck Gefühl in uns und Mitgefühl,
gib uns Mut, gewaltlos zu sein.

Wir danken Dir, Göttin Gott,
die Du Lust am Lebendigen hast,
die Du gegen Vernichtungen kämpfst
für den Sieg der Gerechtigkeit.

DU. Rühmungen, Stuttgart 2008, 56.

Auch Kurt Marti will Mut machen mit seinen Texten. Jahrzehntelang als Pfarrer der Berner Nydegg-Kircher, bis ins hohe Alter als Lyriker. Mut machen für Neues, für Anderes, für Ungewöhnliches.

Und wer denn sät freude
in unsere dumpfen seelen
wenn nicht die heilige geistin?
wer anders als sie
weckt weisheit und mut
auch in entmutigender zeit?

aus: psalm, Die Liebe geht zu Fuss, Zürich 2018, 223.

Neben den z.T. himmlisch anmutenden Gedichten ist ebenfalls schriftlich festgehalten, wie genau Kurt Marti die Wirklichkeit seiner Zeit wahrgenommen und analysiert hat, in der Rubrik «Notizen und Details der Zeitschrift «Reformatio», die er während mehr als vier Jahrzehnten geschrieben hat. Die Beiträge zeigen, wie breit er sich über Alltagssorgen, Politik, Umwelt und kirchliche Angelegenheiten informiert, und wie engagiert er zu unterschiedlichsten Themen seine Meinung vertritt.

Wenn wir am Sonntag Jubilate aufgefordert werden zu jauchzen und zu singen, dann nicht aufgrund von Beobachtungen im Alltag, sondern im Vertrauen darauf, dass Christi Auferstehung etwas verändert hat, und dass etwas dieses neuen Himmels auch in unserem Garten schon spriesst.

Dieser Sonntag erinnert mich an einen zentralen Punkt des Christseins: Ich lebe Realität und Alltag im Licht der Auferstehung. Darauf schöpfe ich Mut für Neues, Ausdauer für Langwieriges, Selbstvertrauen für Herausforderungen und Zuneigung für Mitmenschen.

Oder, mit Worten aus einem Kirchenlied unseres Gesangbuchs – noch einmal mit Kurt Marti:

Der Himmel, der kommt,
grüßt schon die Erde, die ist,
wenn die Liebe das Leben verändert.