Der Trost von Karfreitag

Jedes Mal, wenn ich in die Stadtkirche komme, ist er nicht zu übersehen. Überlebensgross leuchtet er uns entgegen, der gekreuzigte Christus. An dem haben sich schon immer die Geister geschieden. An Palmsonntag noch bejubelt mit „Hosianna“. Der Lobruf wandelt sich innert Tagen und wird an Gründonnerstag zum Geschrei: „Kreuzige ihn!“
Nicht nur an dieser Darstellung scheiden sich die Geister: Als müssten wir an Not und Leiden noch erinnert werden!? Das ganze Jahr über kann der Blick dem Kreuz kaum ausweichen. Erst nach und nach entdeckt das Auge die Fülle. Erst mit der Zeit lassen sich viele weitere Eckpunkte der Heilsgeschichte entdecken: Von der Schöpfung über die 10 Gebote bis hin zur Weihnachtsgeschichte erzählt das linke Chorfenster. Und rechts neben dem Gekreuzigten geht es weiter mit der Auferstehung am Ostermorgen. Mit dem Heiligen Geist am Pfingsten wirkt die Heilgeschichte weiter bis zu unsere Zeit.

Heute steht das Kreuz in der Mitte: an Karfreitag leuchtend in rot und blau. Wer seinem Anblick nicht ausweicht, entdeckt: da ist mehr als Not und Leiden. Das Kreuz ist umgeben von all den anderen Geschichten, die Himmel und Erde verbinden.
Da beginnt für mich Trost, dass Karfreitag nicht das Letzte geblieben ist. Gott sei Dank gibt es Ostern! Es gibt mehr als das, was mir gerade vor Augen ist. Glaube, Liebe und Hoffnung lassen sich entdecken – allen Karfreitagen zum Trotz:
In unsicheren Zeiten hilft mir die Hoffnung, dass Gottes Geschichte mit uns Menschen weitergeht, auch wenn ich noch nicht sehen kann, wie. Durch schwere Zeiten stärkt mich der Glaube, dass das Leben stärker ist als der Tod. In Krisenzeiten wie diesen vertraue ich der Liebe, die viele verbindet und vieles ermöglicht. Die vergangenen Wochen haben schon viele Zeichen von Liebe, von Glauben und von Hoffnung zum Leuchten gebracht: Ganz konkret wird da geholfen und unterstützt, werden Kontakte gepflegt und Trennendes aus dem Weg geräumt. Das macht mich zuversichtlich für die nächsten Wochen.

 

 

Jeden Tag bringt der Künstler Robert Schär durch die Chorfenster viele Zeichen von Trost zum Leuchten. An Karfreitag 2020 wären sie mit einem Klangbild von Johann Sebastian Bach ergänzt worden. Geplant war, dass unser Kirchenchor gemeinsam mit Solist*innen den „Actus Tragicus“ zum Klingen bringt:
„Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit.“
Voll Trost spannt das Werk den Bogen weiter in Richtung Zukunft. Von Karfreitag über Ostern legt Bach die ganze, noch kommende Lebenszeit in Gottes Hand. Vertrauensvoll wird schon für die eigene letzte Stunde aus den Psalmen zitiert, so wie es Jesus am Kreuz tat: „In deine Hände befehl ich meinen Geist.“ (Psalm 31,6 / Lukas 23,46).
Unsere Chorleiterin Daniela Casas hat für Sie die Einspielung der Holländischen Bachgesellschaft (Netherlands Bach Society) auf Youtube ausgewählt.

 

Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit, BWV 106 - Actus Tragicus

Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit.
In ihm leben, weben und sind wir, solange er will.
In ihm sterben wir zur rechten Zeit, wenn er will.
 
Ach, Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.
Bestelle dein Haus; denn du wirst sterben und nicht lebendig bleiben.
Es ist der alte Bund: Mensch, du musst sterben!

Ja, komm, Herr Jesu, komm! (Sopran)
 
In deine Hände befehl ich meinen Geist; du hast mich erlöset, Herr, du getreuer Gott.
 
Heute wirst du mit mir im Paradies sein.
Mit Fried und Freud ich fahr dahin
In Gottes Willen,
Getrost ist mir mein Herz und Sinn,
Sanft und stille.
Wie Gott mir verheißen hat:
Der Tod ist mein Schlaf geworden.
 
Glorie, Lob, Ehr und Herrlichkeit
Sei dir, Gott Vater und Sohn bereit,
Dem heilgen Geist mit Namen!
Die göttlich Kraft
Mach uns sieghaft
Durch Jesum Christum, Amen.


Frank Naumann, Karfreitag 2020