Grosse Worte zu Weihnachten

Pfarrer Roman Häfliger, Weihnachten 2021

Wir feiern Weihnachten. Mitten in der Nacht wird es hell, mitten im Winter spüren wir Wärme, mitten auf dem Feld erscheinen Engel, mitten in der Pandemie singen wir Loblieder.

Wie der Engel im Lukas-Evangelium spart auch der Verfasser des Hebräerbriefs nicht mit grossen Worten, wenn er den beschreibt, der an Weihnachten zur Welt kommt: «Der Abglanz von Gottes Herrlichkeit trägt das All mit dem Wort seiner Macht.»

Dieser Brief richtet sich an Christinnen und Christen der zweiten und dritten Generation. Wie wir kennen auch sie die Weihnachtsgeschichten nur noch vom Hörensagen. Als Angehörige einer noch neuen Religion werden sie von der Umwelt angefeindet und in ihrer religiösen Identität verunsichert.

Vermutlich richtet sich der Brief an eine Gemeinde in Rom – an eine religiöse Gemeinschaft in einer Weltstadt, in der verschiedene Religionen nebeneinander gelebt werden. Deshalb versucht der Verfasser dieses Briefs, die verunsicherten Gläubigen zu stärken: Bleibt eurer Gemeinde und eurem Glauben treu! Denn die Christusbotschaft ist das endgültige Reden Gottes. Zu wem sonst hat Gott je gesagt: «Mein Sohn bist du»?!

Knapp 2000 Jahre später sind wieder – oder immer noch – viele Menschen in ihrer religiösen Identität verunsichert. Nebeneinander werden verschiedene Religionen gelebt, nicht nur in Weltstädten, sondern auch in beschaulichen Örtchen wie Burgdorf. Wenn eine Verunsicherung in religiöser Identität spürbar ist, hängt diese aber weniger mit dem Vorhandensein anderer Religionen zusammen, sondern mit der Frage, ob Religion überhaupt noch gelebt werden soll.

Und doch kommen wir in diesen Tagen zusammen, um Christi Geburt zu feiern. Weihnachten steht prominent im privaten und öffentlichen Kalender. Dazu gehören die Zusammenkunft mit der Familie und gegenseitiges Freudebereiten mit Geschenken. Der Tannenbaum wird nach langjährigen Traditionen geschmückt, Änderungen bei der Menu-Planung bedürfen sorgfältiger Vorabklärungen. Und gibt es nicht bei diesen Zusammenkünften, beim Vorbereiten oder beim Aufräumen, auch diese Momente, in denen Fragen nach der religiösen Identität verstärkt aufkommen?

Während die anderen weitersingen, sinniert Stefan im Flackerlicht der Kerzen, ob er denn zur Krippe gegangen wäre, wenn er den Ruf «Herbei o ihr Gläubigen» gehört hätte.
Tabea erinnert sich wortwörtlich an die Weihnachtsgeschichte in Lukas 2, wie sie früher der Grossvater gelesen hatte, und fragt sich, warum in neueren Übersetzungen nicht mehr «und es begab sich» steht.
Claudia geniesst die feierliche Atmosphäre in der Christnachtfeier und nimmt sich vor, nicht erst in einem Jahr wieder zum Gottesdienst zu gehen.
Luan sitzt beim Festmahl der Tante gegenüber, und nimmt erstaunt zur Kenntnis, wie tapfer sie mit ihren gesundheitlichen Einschränkungen umgeht. …

«Fürchtet euch nicht, ich verkündige euch grosse Freude: euch wurde heute der Retter geboren!», sagt der Engel zu den Hirten. Diese gute Nachricht, dieses Evangelium, wiederholen wir seither jährlich an Weihnachten. Mündlich, schriftlich, mit glitzernden Karten und animierten digitalen Grüssen: «Frohe Weihnachten!» Spätestens seit Mitte Dezember kann man sich kaum mehr von jemandem verabschieden, ohne dem «uf Wiederluege» diesen Wunsch beizufügen. Dabei ergeht es uns ähnlich wie dem Engel: Die grosse Botschaft lässt sich nicht in Worte fassen. Christus trägt das All mit dem Wort seiner Macht. Uns Menschen fällt es schwer, solch grosse Worte zu verstehen.

Bevor die Hirten dem Engel Rückfragen stellen können, bevor er seine grossartige Aussage erklären muss, kommt ihm eine ganze himm­lische Heerschar zu Hilfe. Diese loben Gott und singen von Gloria und Schalom. Wenn sich sogar Engel von Erklärungen in Musik flüchten, warum sollten wir es anders machen?!

«Halleluja», «Schalom», «gloria in excelsis deo». Wunderschöne, klingende Ausdrücke, hebräisch und lateinisch, die Übersetzung ins Deutsche wirkt immer fragmentarisch, behelfsmässig, wenig feierlich. Die Tragweite des Weihnachtswunders, dass Gott Mensch geworden ist, lässt sich sowieso nicht mit dem Verstand erfassen, da hilft auch eine Übersetzung nicht viel.

So überlassen wir doch die Übersetzung von «Gott ist Mensch geworden» der Musik. Freuen wir uns an den Zeugnissen früherer Menschen, die ihrer religiösen Identität sicher waren, und die diese in Kunst übertragen konnten. Lassen wir uns anstecken von Georg Friedrich Händel, singen wir zu Gottes gloria, und helfen wir mit, schalom auf Erden zu verbreiten. Halleluja!